In den Stürmen der Jahrzehnte seit 1900 in den Weltkriegen, den Revolutionen und gesellschaftlichen Umwälzungen, musste sich die Standfestigkeit und der Idealismus der Musikerkameradschaften erweisen, die bis zur Jahrhundertwende ein verhältnismäßig geruhsames Dasein geführt hatten. Nicht zu vergessen sind die tiefgreifenden Veränderungen unserer Musikgewohnheiten, welche die rasche Entwicklung der Technik zur Folge hatte. Was den Vereinen nach den Kriegskatastrophen an musikalischen Eigenleben geblieben war, drohte der mechanischen Tonreproduktion von Radio und Platte zum Opfer zu fallen.
Damals wurde in der noch selbständigen Gemeinde die Losung ausgesprochen: „Reutin braucht eine Musikkapelle, Reutin muss sie haben!“ Wie die alten Bereichte sagen, was dieses Vorhaben nicht leicht zu verwirklichen. Aber es fanden sich die Männer in Reutin, die in gemeinsamer Leistung das Werk zustande brachten. In der Bevölkerung wurde bei Landwirten und Handwerkern geworben, um sie für die gemeinsame Sache zu begeistern.
Am Anfang dieser Vereinsgeschichte stehen die Namen: Konrad Bänziger, der erste Vorstand und der erste Dirigent, Fritz Hyrenbach, der Schriftführer, Fritz Hermann, der Kassier, mit ihnen Fitze Willham, Georg Meßmer, Georg und Fritz Haug, Eugen Riedmeier, Konrad Bänziger jun. und Heinrich Motz. Alle waren sie in der Landwirtschaft oder im Handwert tätig, aber in ihnen lebte die Liebe zur Musik und der Wille, das Leben in der Gemeinde durch gemeinsame Musikpflege zu bereichern und zu heben. Aus den kleinen Anfängen entwickelte sich bald eine recht leistungsfähige Kapelle. Es gelang, von Musikfreunden das nötige Geld in Spenden und Darlehn für die Anschaffung von Instrumenten und Noten beizuschaffen. Für kurze Zeit übernahm Wilhelm Mertens die musikalische Leitung, und als dann 1912 mit dem Hoboisten der Lindauer damaligen Regimentsmusik Gustav Strzibny einen Fachmann der Dirigentenstab anvertraut wurden, konnte man es bald wagen, an die Öffentlichkeit zu treten und zur musikalischen Ausschmückung von Feierlichkeiten einen hochgeschätzten Beitrag zu geben; so zum Osterfest 1912 und 1913 bei der Einweihung des Reutiner Schulhauses.
Was die Jahre des ersten Weltkrieges an Stillstand brachten, das die Aktiven mehr oder weniger alle des Kaisers Rock anziehen mussten, wurde nach der Heimkehr der Soldaten mit bemerkenswerter Energie schnell nachgeholt. Aus der Phase der Vereinsgeschichte verdienen einige Namen rühmend genannt zu werden. An erster Stelle ist hier des immer mit helfender hand beistehenden Fabrikanten Kosmus Schindler zu gedenken, ohne dessen Unterstützung es nur schwer möglich gewesen wäre, dem hehren Dreigestirn der Vereinsarbeit „Kunst – Wohltätigkeit – Geselligkeit! So zu dienen, wie dies in den zwanziger Jahren in Reutin geschah. Ein hervorragender Mann innerhalb dieser Arbeit war auch der als geschäftsführender Vorstand organisatorisch immer wieder bewährte Emil Hechelmann. Ferner verdankt der Verein viel dem im Jahr 1922 führende in seinen Reihen eintretenden Dr. Müllereisert, der 1924 zum Vorstand gewählt wurde. Ein Höhepunkt dieser Jahre war die glänzend verlaufende 15jährige Gründungsfeier des Stadtmusikvereins Reutin, wie er sich nannte, im Mai 1925. Ein Festzug von 44 Kapellen zog anlässlich dieses Ereignisses durch Reutin.
Immer noch unter des Dirigenten Strzibny sachkundiger Leitung konnte sich die Reutiner Kapelle in dieser Zeit in der engeren und weiteren Heimat einen Nahmen schaffen, der Lindau-Reutin alle Ehre machte. Ständchen, Festlichkeiten, kirchliche und weltliche Feiern der Gemeinde sowie eine große Zahl von auswärtigen Musikfesten und Wertungsspielen, die zwischen dem ersten und dem zweiten Krieg beschickt wurden, zeugen heute in den Annalen des Vereins von der Intensität, mit der die Reutiner Bläser den Zielen der Vereinsgründer gedient haben.